Dienstag, 23. Oktober 2012

Heiliges Varanasi

Ein verlängertes Wochenende eignet sich immer gut, um noch die Flecken zu erkunden, die noch weiß sind, auf der persönlichen Reiselandkarte. Varanasi gehörte für mich dazu. So entschloss ich mich, diese heiligste aller Städte am Ganges direkt auf eigene Faust zu erkunden.
Ich hatte schon gehört, dass es ein ziemlich verrückter und quirliger Ort sein sollte. Um trotzdem auch etwas Erholung zu haben, gönnte ich mir ein besseres Hotel nicht weit von der Innenstadt. Diese galt es auch gleich zu erkunden. 
Also nahm ich mir eine Ricksha und fuhr los.

Erster Halt war der Mother India Temple, in dessen Inneren ein gigantisches Marmorrelief des Landes zu sehen war.
Draußen vor der Tür reichte mir ein Schlangendompteur eine zweiköpfige Schlange. Der eine Kopf sei während der einen Jahreshälfte aktiv und der am gegenüberliegenden Ende während der anderen. Gut, wer's glaubt. Märchen hört man in Indien schließlich des öfteren.

Weiter ging es zum Durga Temple. Dieser ist knallrot angestrichen und von außen nett anzuschauen. Hinein wollte ich dann doch nicht. Zu lang waren mir die Schlangen der Anstehenden und auch die Hitze um die Mittagszeit war schier unerträglich. Um die Tempel fanden sich hier zahlreiche Bettler, meist Frauen mit ihren Kleinkindern. Auch wenn es deren wirklich viele, zu viele gibt, rührt es einem immer noch das Herz. Wie lang würden ihnen die paar Rupien reichen, die ich noch in der Tasche hatte...?
 
Nun war es Zeit, Mother Ganga zu sehen. Der Weg zum Fluss führte durch die belebten und engen Straßen und Gassen der Altstadt, in der zahlreiche Händler ihre Geschäfte hatten. Ohne meinen Guide, den mir mein Rickshafahrer organisiert hatte, wäre ich wohl noch eine weile umhergeirrt.

Schließlich kamen wir an der Main Ghat an. Die mächtige Treppe führte hinunter bis zum Fluss. Vor mir lag der breite Strom, um den sich in Indien viele Sagen drehen. Die Markierung an der Wand eines Hauses verriet, das gerade Niedrigwasser war. Eine Ruderbootfahrt auf dem Ganges gehört zum Standardprogramm eines jeden Varanasi-Besuchers. So ließ ich mich nicht lange überreden, mich eine gute Stunde lang, immer am Ufer entlang, auf abwärts rudern zu lassen.

Vom Wasser aus ließ sich das bunte Treiben auf den Treppen am Ufer (den so genannten Ghats) gut beobachten. Einige wuschen sich ihre Wäsche, badeten sich oder ihre Nutztiere, wieder andere verbrannten ihre verstorbenen Angehörigen auf Scheiterhaufen.

Die Einäscherung der Leichname geschieht zum einen in Krematorien, zum anderen unter freiem Himmel direkt am Flussufer. Die Ärmeren oder bei Unfällen getöteten werden in ersteren versorgt, während die Wohlhabenderen auf dem Hauptverbrennungsplatz landen. Eingeheizt wird mit dem Holz des Mangobaumes und für den besseren Geruch sorgt die Zugabe einer Portion Sandelholz. Etwa 200 Kilogramm Holz werden benötigt, damit nach ca. 48 Stunden alles verbrannt ist.


Die Asche kommt natürlich in den Fluss. Kinder und lieb gewonnene Haustiere werden im Ganzen versenkt. So kann es auch vorkommen, dass ab und zu ein Kadaver an einem vorüber treibt.

Am Hauptverbrennungsplatz gibt es ein ewiges (Lager-)Feuer, das für die vorgelagerten Scheiterhaufen als Zündquelle dient. Der Qualm war hier extrem dicht und beißend, daher liefen wir  schnell weiter durch die engen Gassen der Altstadt.



Diese waren zunächst gesäumt von Holz- und Tuchhändlern, später kamen auch Handarbeits- und Snackshops dazu.
Es kamen uns auch jene Träger entgegen, die auf ihren Bambustragen immer neue, in Tücher gehüllte Leichname hinunter zum Fluss trugen.
Am nächsten Tag fuhr ich ins nahe gelegene Sarnath. Im dortigen Wildpark soll der frisch erleuchtete Siddhartha Gautama im Jahre 589 v. Chr. seine erste Lehrrede gehalten und damit den Buddhismus begründet haben.
Heute steht an diesem Ort die Dhamek Stupa, ein zylinderförmiger Bau mit 28 Metern Durchmesser. Der damalige König Ashok ließ dieses Denkmal vor ca. 1500 Jahren bauen, nachdem er zum Buddhismus übergetreten war. Außerdem ließ er im ganzen Reich Säulen errichten, die seinen neuen Glauben verkünden sollten. Die bekannteste davon hat ein Kapitell mit vier Rücken an Rücken sitzenden Löwen, das schließlich auch ins indische Staatswappen übernommen wurde.


Als nächstes schaute ich mir auch einen japanischen Buddhatempel (Tera) an. Neben vielen weiteren ist dieser Zeuge einer lebhaften örtlichen Buddhisten-Community bestehend aus Thibetern, Chinesen und Japanern.





Am Nachmittag war noch etwas Zeit die Märkte zu erkunden, d.h. genauer gesagt zunächst einmal einen Blumenmarkt. Der karge Hinterhof wurde von den intensiven Farben der Blumen geradezu erleuchtet. Die meisten dieser Gebinde sind für religiöse Zwecke oder Hochzeiten bestimmt. Meist werden nur die Blüten verwendet und daraus Girlanden geflochten.


Weiter ging es in ein muslimisches Viertel, in dem sich eine Vielzahl kleiner Webereien angesiedelt hatte. Es handelte sich um Familienunternehmen, die u.a. Sarees, Schals und Decken besonders auch für den Export herstellten. Seide aus Varanasi hätte Tradition, sagte man mir.
 
Es dämmerte schon und am Flussufer versammelte man sich, um der allabendlichen Ganga-Aarti-Zeremonie beizuwohnen. Die Gassen der Altstadt waren nun proppevoll mit Menschen und die Polizei sperrte nach und nach die Zufahrtsstraßen für den Verkehr. Da mein Hotel zu weit entfernt für einen Fußmarsch war, sah ich zu, dass ich noch eine Ricksha dorthin zurück bekam. Die Fahrt war eine einzige Odysee durch lärmende und hell erleuchtete Gassen, aus denen überall exotische Gerüche und natürlich Schaaren von Menschen hervorquollen. Eine absolute Belastungsprobe für meine Sinne als auch meine Nerven! Es hatte sich also bestätigt: Varanasi kann mit Fug und Recht zu den quirligsten und verrücktesten Ort in Indien gezählt werden. Bevor ich am nächsten Morgen wieder meine Heimreise nach Bangaore antrat, gönnte ich mir erst einmal eine lange und erholsame Nacht...